Immer wieder kommen Menschen zu mir, die Angst vor dem wissenschaftlichen Schreiben haben, weil sie in der Schule eine schlechte Note im Fach Deutsch hatten. Warum das kein Hinderungsgrund ist, dein Studium abzuschließen, und wie du erfolgreich eine wissenschaftliche Arbeit schreibst, erfährst du in diesem Artikel.
*In diesem Artikel verwende ich nur weibliche Formen. Alle anderen Geschlechter sind natürlich mitgemeint.
1. Schlechte Erfahrungen wirken lange nach
Manche Erlebnisse in der Schule begleiten uns ein ganzes Leben lang, etwa schlechte Noten oder demotivierendes Feedback im Deutschunterricht. Auch zu mir kommen wieder Kundinnen, die sich nicht zutrauen, ihre Facharbeit, Bachelorarbeit oder sogar Masterarbeit zu schreiben. Sie fühlen sich unwohl, wenn sie an ihren Studienabschluss denken, weil die Erfahrungen lange nachwirken.
Das führt oft dazu, dass sie fast ausschließlich Veranstaltungen belegen, in denen das Wissen mit einer Klausur abgeprüft wird. Oder sie suchen sich jemanden, der die Arbeit für sie schreibt, wenn es nötig wird. Dadurch, dass sie das Schreiben während des Studiums nicht üben, wird die Angst vor dem Abschluss immer größer. Sie zögern ihn heraus, indem sie die Regelstudienzeit überziehen, oder brechen das Studium ganz ab. Oder der Nebenjob zur Finanzierung des Studiums wird immer umfangreicher und plötzlich fehlt die Zeit, das Schreiben der Arbeit, den letzten Schritt, anzugehen.
2. Äußere Bedingungen beeinflussen das Schreiben
Schauen wir uns das Schreiben in der Schule genauer an: Bei den Textsorten im Unterricht eignest du dir vor der Klausur Wissen an. Du lernst die Merkmale einer Gattung, etwa der Erörterung oder der Gedichtinterpretation, und übst anhand eines Themas bzw. eines literarischen Werks, sie zu verfassen.
In der Klausur wirst du mit einem unbekannten Gegenstand konfrontiert und musst unter Zeitdruck handschriftlich zu vorgegebenen Fragen die Textsorte umsetzen. Das wird mühsam, wenn man mit einem Roman oder Gedicht nichts anfangen kann, oder mit der Aufgabe, zu dem du Stellung nehmen sollst. Außerdem hast du nur den einen Versuch und keine Gelegenheit, nachzubessern.
Frust stellt sich ein, weil du dir etwas ausdenken musst oder Halbwissen wiedergibst. Verständlich, dass die Textqualität leidet und mit der schlechten Note hinterher allmählich die Überzeugung wächst, du könntest nicht schreiben.
3. Schubladendenken – eine Ursache für schlechte Noten
Doch oft ist ein Grund für die Beurteilung mit vier oder schlechter, dass du nicht schreibst, was die Lehrperson gerne lesen möchte. Das ist völlig normal: Auch Lehrerinnen sind nur Menschen, haben ihre Stärken und Schwächen. Von ihrem Wohlwollen bist du abhängig, sie kennt dich oft schon seit Jahren und stecken dich eventuell (leider) in eine Schublade. Auch Vorurteile gegen bestimmte Nationalitäten können nachgewiesenermaßen eine Rolle bei schlechten Noten spielen. Ich darf das sagen, ich habe selbst eine Zeit lang in dem Beruf gearbeitet. Selbstreflexion erfordert Zeit und wird von dieser Berufsgruppe nur bedingt eingefordert.
Der Unterrichtsstil kann ein weiterer Baustein für Schreibfrust sein: Man muss mit der Art, wie jemand erklärt, zurechtkommen, die Gedanken nachvollziehen können und verstehen, was wichtig ist und was nicht. Hinzu kommt, dass nicht jede Lehrperson bei jedem Thema in der Lage ist, das deutlich zu vermitteln. Auch sie können nicht mit allem etwas anfangen, müssen es aber unterrichten.
Abschreckend kann auch wirken, dass das wissenschaftliche Schreiben auf den ersten Blick der Textsorte Erörterung ähnelt. Verständlich, dass diejenigen mit den schlechten Erfahrungen schließlich davor zurückscheuen wie ein Springpferd vor einem Hindernis, über das es sich nicht traut. Zumal, weil es hier noch um viel längere Texte geht, für die man ausreichend Zeit investieren muss.
Auf den ersten Blick liest sich das demotivierend. Doch ich habe es oft genug erlebt, dass sich diese Erfahrungen überwinden lassen, und jemand mit Unterstützung seine Abschlussarbeit erfolgreich schreibt! Lies weiter, damit du verstehst, was dir helfen kann.
4. Wissenschaftliches Schreiben ist individueller
Die erste gute Nachricht: Beim wissenschaftlichen Schreiben kannst du vieles auf dich und deine Interessen anpassen. Dadurch bist du weniger abhängig von den Vorlieben deiner Betreuerin. Angefangen mit dem Thema, das überwiegend die Studierenden auswählen, und dem speziellen Fokus darauf. Sollte es vorgegeben sein, hast du meistens die Möglichkeit, es abzulehnen, wenn du gar nichts damit anfangen kannst. Denn die Universitäten und Hochschulen wollen nicht, dass Studierende abbrechen, die bereits alle Credit Points gesammelt haben.
Ein weiterer Pluspunkt: Den Text zu überarbeiten, ist ausdrücklich erwünscht. Ob du das parallel zum Schreiben neuer Kapitel einbaust oder dafür ganz am Schluss Zeit reservierst, bleibt dir überlassen
Zudem ist wissenschaftlich Schreiben sehr formal, das erleichtert das Schreiben. Sowohl der Aufbau der ganzen Arbeit ist vorgegeben als auch die Gliederung der Kapitel und die Art der Argumentation. Vielen fällt es durch dieses Gerüst sogar leichter als eine Gedichtinterpretation oder eine Figurencharakterisierung.
Anders als in der Schule benutzt du Sekundärliteratur und musst dir nichts aus den Fingern saugen. Wenn du dabeibleibst, wird das Schreiben von Kapitel zu Kapitel immer einfacher.
Ein weiterer Stolperstein könnte dein Selbstanspruch sein. Mach dir bewusst, dass es mit dem Schreiben genauso ist wie mit einer neuen Sportart oder wenn man ein Instrument lernt: Es braucht Übung, deshalb gibt dir die Zeit, es zu lernen. Das weiß auch deine Betreuerin, sie erwartet einen korrekten Aufbau und eine solide Argumentation mit sachlicher Sprache. Und keine Brillanz wie von ihren Kollegen oder sich selbst.
5. Der Schreibprozess – das geniale Mittel gegen Schreibangst
Das absolut geniale Mittel auf dem langen Weg zur fertigen Arbeit ist allerdings der Schreibprozess: Darunter versteht die Schreibforschung, den Erarbeitungsprozess eines Textes in einzelne Schritte zu unterteilen. Mit seiner Hilfe wird es viel leichter, diese große Aufgabe Abschlussarbeit zu bewältigen, und die Angst vor dem sprichwörtlich leeren Blatt schwindet und wird beherrschbar.
Der Schreibprozess gliedert sich in drei grobe Phasen, die jede wieder mehrere Schritte umfasst. Niemand hat Probleme bei allen Schritten, bestimmt gibt es welche, die dir leichter fallen als andere. Durch diese Unterteilung sind die Schwierigkeiten leichter zu identifizieren und zu anzugehen.
Phase 1: Erarbeitung des Themas
Du beginnst damit, das Thema bearbeitbar zu machen. Alle Schritte dieser ersten Phase sind darauf ausgerichtet, das Thema weder zu weit zu fassen noch wichtige Aspekte zu vergessen. Mittel sind die übergeordnete Forschungsfrage und weitere Unterfragen, aus denen sich die erste grobe Gliederung ergibt.
Du kannst die benötigte Zeit für die einzelnen Schritte besser abschätzen und wirst dadurch sicherer, den Abgabetermin einzuhalten. Die Arbeitszeit wird anhand dreier Parameter berechnet: der Länge der Arbeit, der Zeit, die dir pro Tag zur Verfügung steht, sowie deinem Arbeitstempo.
Du sichtest die Literatur und hast nun alles zusammen, um ein Exposé zu schreiben. Diese eine Seite ist unschätzbar wertvoll aus zwei Gründen: Es hilft dir zum einen, immer wieder nachzuschauen, ob du noch an deinem Thema arbeitest. Zum anderen triffst du damit quasi eine Arbeitsvereinbarung mit dir selbst, die deinem Gehirn signalisiert, dass du der Aufgabe zugestimmt hast.
Die Kurzbeschreibung deines Arbeitsvorhabens im Exposé hilft dir zudem, weitere passende Literatur zu finden und sie anhand der Forschungsfragen zu exzerpieren und du kannst sie für die Einleitung nutzen. Zuletzt ist sie eine gute Besprechungsgrundlage mit deiner Betreuerin. Alle Schritte bis hierhin brauchen etwa das erste Drittel deiner Zeit.
Phase zwei: Den Erstentwurf schreiben
In der zweiten Phase schreibst du den Erstentwurf, erarbeitest Kapitel für Kapitel die Rohfassung deiner Arbeit. Als Zeitrahmen kannst du dafür etwa wieder ein Drittel der gesamten Zeit reservieren. Ziehe alles hinzu, was du dir vorher erarbeitet hast: die Gliederung, Exzerpte, Notizen zu Argumenten, fertige Teile aus einer Präsentation.
Ziel ist nicht, einen perfekten Text zu haben, sondern dein Thema aus deiner Sicht zu verschriftlichen, von der Schreibforschung writer-based prose genannt. Du stellst eine Behauptung nach der anderen auf, belegst oder erklärst sie mit der Sekundärliteratur und schlussfolgerst schließlich für jedes Argument, was diese Inhalte für deine Arbeit bedeuten.
Der Schluss beantwortet deine übergeordnete Forschungsfrage. Du fasst die Erkenntnisse zusammen, ordnest ein, wofür sie gelten oder nicht, und auch, welche Fragen offenbleiben müssen für eine zukünftige Bearbeitung.
Phase 3: Die Überarbeitung
Auch die Überarbeitung besteht aus drei Schritten: der inhaltliche Durchgang, der sprachliche und abschließend der für die formale Richtigkeit. Plane auch dafür noch mal ein Drittel der Zeit ein.
Am wichtigsten ist die inhaltliche Überarbeitung, bei der du kontrollierst, dass die Arbeit vollständig ist. Dafür überprüfst du deine Argumente und ergänzt sie.
Anschließend geht es um Lesbarkeit und wissenschaftliche Sprache. Dieser soll sicherstellen, dass deine Leserinnen die Inhalte verstehen. Das nennt man reader-based prose.
Zuletzt wird der Text gegengelesen auf Rechtschreibung, Zeichensetzung, Grammatik und darauf, ob das Literaturverzeichnis vollständig ist.
6. Deshalb wirkt der Schreibprozess
Ich empfinde die Unterteilung in viele Schritte als große Entlastung. Anders als bei einer Klausur muss nicht gleich alles beim ersten Versuch perfekt auf dem Papier stehen. Zwar ist es ebenfalls eine Art Prüfungssituation, in der du beweist, dass du gelernt hast, ein Thema auf wissenschaftliche Art zu untersuchen und zu verschriftlichen. Doch du hast bis zur Abgabe viele Gelegenheiten zum Nachbessern. Natürlich geht es auch damit nicht von alleine, doch du kannst das Schreiben dadurch entspannter angehen. Auch, weil du dir anders als in einer Klausur immer wieder bei Experten Hilfe holen darfst. Du weißt, du bist nicht auf dich gestellt, und das nimmt eine Menge Druck heraus!
7. Schritt für Schritt ins Schreiben kommen
Schließlich ist es geschafft, du darfst dich feiern: Nach intensiven Wochen, in denen du tief in dein Thema eingestiegen bist, hast du die fertige Arbeit vor dir liegen. Die einzelnen Schritte des Schreibprozesses sind dir wahrscheinlich unterschiedlich leicht oder schwer gefallen. Das liegt daran, dass jede auf ihre individuelle Art an sie heran geht.
Deshalb ist es völlig normal, wenn du zum Beispiel sofort ein Thema hattest, aber länger an der Gliederung gesessen bist. Oder zuerst nicht wusstest, wie du die Informationen aus der Sekundärliteratur verarbeiten sollst oder Befürchtungen hattest, dein Schreibstil sei nicht wissenschaftlich.
Feedback einzuholen gehört auch zum Schreibprozess: Nimm die Besprechungstermine deiner Betreuerin in Anspruch. Das macht dich sicherer, dass deine Arbeit den Anforderungen genügt. Solltest du auf ein Problem stoßen, das eine ausführlichere Beratung braucht, wende dich an das Schreibzentrum deiner Uni oder eine Schreibberaterin bzw. Korrektorin deiner Wahl.
8. Mein Angebot an dich
Als ausgebildete Schreibberaterin (Pädagogische Hochschule Freiburg) mit Schwerpunkt Wissenschaftliches Schreiben habe ich mittlerweile fast 20 Jahre Erfahrung in Schreibberatung, Textfeedback und Korrekturlesen von Abschlussarbeiten und Dissertationen. Du kannst mit allen im Artikel angesprochenen Problemen zu mir kommen.
Allen mit kleinem Budget empfehle ich das Powerpaket Abschlussarbeit, drei Beratungen zum Sonderpreis für Studierende. Alle Details meines Angebots findest du über diesen Link: Leistungen und Honorar.
Ein Hinweis zu den Grenzen der Begleitung: Schwierigkeiten mit dem Schreiben können auch ein Ausdruck tieferliegender Probleme sein, die die Arbeitsfähigkeit behindern, etwa Trennung, Tod einer Angehörigen oder ein altes Trauma. Meine Fähigkeiten enden hier, Schreibberatung kann nicht helfen, es zu überwinden. Sollten wir in der gemeinsamen Arbeit darauf stoßen, werde ich dir raten, dich an eine Psychologin oder eine psychotherapeutische Beratungsstelle zu wenden.